Die Psychologin Julia Hartl arbeitet seit 2019 im *sowieso* als Beraterin im Bereich Hartz-IV-Beratung. Sie begleitet Frauen dabei, sich aus finanziellen Abhängigkeiten zu befreien, Arbeitsstellen zu finden, die zu ihnen passen und – vor allem – ihren Selbstwert zu stärken. In diesem Interview erzählt sie uns, weshalb ihre Arbeit so wichtig ist und wie eine Beratung bei ihr ablaufen kann.

 

Julia Hartl wurde in NRW geboren und von ihren bayrisch-US-amerikanischen Eltern in Rheinlandpfalz großgezogen, die Liebe zur Stadt Dresden hat sie angezogen, aus Liebe zu einem Menschen ist sie geblieben. Die heute xx-jährige hat in Baltimore (USA) und Trier Psychologie studiert. Das *sowieso*-Team ergänzt sie seit August 2019 als Beraterin für Frauen im Bereich rund um das SGB II. Ihre Themen dort: Arbeitslosigkeit, Arbeitslosengeld, Hartz IV, ALG I und ALG II und bald das Bürgergeld. Mittlerweile ist sie auch im Bereich Kultur aktiv und überlegt sich hier, wie Veranstaltungen des *sowieso* politischer gemacht werden können. Privat ist sie durch und durch politisch und setzt sich z.B. in ihrem Ehrenamt für Gleichstellung ein.

 

„Julia, was ist deine Rolle im Team, was sind deine Aufgaben? Wofür bist du innerhalb des Teams bekannt?“

JH: Wofür ich innerhalb des Teams bekannt bin, ist, dass ich dazu tendiere, emotional zu diskutieren und nicht so sehr fachlich. Ich werde sehr schnell sehr emotional und dominiere so sehr schnell eine Diskussion. Das hat Vorteile: Man kann mich auf jedes Podium setzen, mir mitten in der Stadt ein Mikro in die Hand drücken und dann werde ich anfangen, Leute zusammenzutrommeln und Botschaften zu verkünden und dafür sorgen, dass Menschen zumindest kurz stehen bleiben und mal kurz zuhören, worum es geht.

Ich hoffe, dass das Team mich so wahrnimmt, dass alle wissen, dass sie fast immer auf mich zukommen und mich fragen können, ob ich bei irgendwas helfen kann. Wenn ich die Kapazitäten habe, tue ich das auch meist. Ansonsten ist meine Rolle natürlich auch, dass ich eine von zwei Leuten im Fachbereich SGB II bin.“

Beratung bei Arbeitslosigkeit, Hartz IV und beruflicher Umorientierung

„Wie läuft denn eine Beratung bei euch im Fachbereich SGBII ab?“

Normalerweise bekommen wir von den Frauen entweder einen Anruf oder eine E-Mail oder eine Kollegin im Haus leitet eine Klientin* zu uns weiter. Dann nehmen wir erstmal Kontakt mit ihr auf und finden heraus, worum es grundsätzlich geht: was will die Person eigentlich von mir, wobei will sie konkret Hilfe haben? Es gibt Fälle, da wissen die Frauen selbst noch nicht so richtig, wohin es gehen soll und es gibt Fälle, da stehen ganz konkrete Fragen im Vordergrund.

Hilfe bei Anträgen

Diese Beratungen sind oft eine einmalige Sache. Da geht es dann zum Beispiel um so etwas wie: „Ich habe hier einen Antrag und bin mir unsicher, wie das mit dieser Frage funktioniert, was ich da ankreuzen soll“. In den Fällen geht man das durch, macht das zusammen fertig und schickt das ab und es ist quasi alles gut.

Unterstützung bei der beruflichen Neuorientierung

Genauso gibt es aber auch diese Prozesse: „Ich habe was gelernt, ich habe was studiert, ich habe darin auch gearbeitet, aber ich stelle fest, dass ich das körperlich/seelisch/moralisch nicht mehr machen kann und ich muss oder möchte was Neues machen“. Und da geht es dann erstmal in einen Findungsprozess: Was könnte man denn Neues machen? Wo könnte es denn hingehen?

Und da gucken wir dann gemeinsam, was Aspekte des alten Jobs sind, die Spaß gemacht haben und was die Aspekte sind, die einen am Ende kaputt gemacht haben. Und dann nimmt man sozusagen die Aspekte, die Spaß gemacht haben und guckt da draußen in der Erwerbswelt, wo man das miteinbauen kann. Das fängt bei so einfachen Sachen an wie: „Ich habe da gerne mit Tieren gearbeitet“ oder „Ich habe da gerne mit Menschen gearbeitet“. Aber es kann auch was Spezifisches sein wie „Ich fand die Buchhaltung geil“. Das sind ja durchaus zwei verschiedene paar Schuhe, mit denen man da arbeitet. Das eine ist sehr spezifisch: wir gucken zusammen nach einem Verein, wo man Buchhaltung machen kann – oder einer großen Firma, einem kleinen Unternehmen, was Familiärem, was auch immer. Das andere ist eher breit. Zum Beispiel „man möchte was mit Menschen machen“. Naja, Menschen gibt es ja viele – junge Menschen, mittelalte Menschen, alte Menschen, sehr alte Menschen, sehr junge Menschen. Da muss man dann erstmal ausdifferenzieren. Und so ist das eben ein konstanter Findungsprozess, der da abläuft.

Die Basis: das Selbstwertgefühl stärken

Das geht meist auch Hand in Hand mit einem Aspekt, der tatsächlich einen Großteil unserer Arbeit ausmacht. Und zwar kommen viele Frauen* hier an und haben kein Selbstwertgefühl mehr. Da geht es darum, ihnen zu zeigen – oder besser, ihnen zu helfen, selbst zu erkennen, dass sie etwas wert sind. Dementsprechend ist Selbstwertsteigerung eine sehr große Sache in solch einem Prozess. Am Ende ist eine Bewerbung ja nichts anderes als Werbung für sich selbst zu machen.

Bei Bewerbungen die Perspektive ändern: Duckmäuschen vs. selbstbewusst

Da gibt es auch Unterschiede zu den Bewerbungsprozessen früher, als man die Arbeitgeber*innen angebettelt hat, einen bitte bitte einzustellen. Inzwischen ist es oft vielmehr: „Bitte bitte liebe Arbeitnehmerin*, ich hätte dich gerne“. Diesen Switch versuche ich auch in meinen Beratungen zu vermitteln. Denn wenn man gehobenen Hauptes ins Bewerbungsgespräch reingeht, hat man eine ganze andere Verhandlungsmasse als wenn man wie ein kleines Duckmäuschen dasteht und bettelt. Diese Vermittlungsarbeit ist eine ganz klassische Sache in meinen Beratungen.

Beratung bei Trennungen, Finanzen und Arbeitslosigkeit

Häufig kommen zu uns auch Frauen, die sich aus einer patriarchalen Situation lösen möchten und viele – vor allem – finanzielle Fragen haben: „Ich bekomme kein Arbeitslosengeld mehr, das Kindergeld funktioniert nicht mehr und ich möchte mich scheiden lassen. Wo kommt das ganze Geld eigentlich her? Kann ich es mir überhaupt leisten, mich scheiden zu lassen?“ Das ist eine Situation, mit der ich in meinen Beratungen oft zu tun habe.

„Wie läuft dein Alltag im *sowieso* ab, wenn du nicht berätst?“

Wenn ich nicht berate, kommt noch einiges dazu: die Mails durchgehen, Anmeldungen oder Fragen zu Beratungen und Veranstaltungen beantworten. Außerdem ist Recherche in meinem Arbeitsalltag wichtig: ich weiß ja nicht alles. Dann gucke ich zum Beispiel nach, wie das ist mit dem Kindergeld bei Adoptivkindern, wie das ist, wenn man bei der Oma wohnt oder wenn Mama, Oma und Kind in einem Haus wohnen, Oma bekommt Rente, Kind fängt Ausbildung an, aber Mama bekommt ALG 2, wie wird das dann verrechnet?

Außerdem sind wir ja ein selbstverwaltetes Haus, sodass auch da immer was anfällt – von Treppen putzen über Blumen gießen bis Spinnweben in hohen Ecken ist da alles dabei.

Ich unterstütze auch bei Veranstaltungen: Aufbau, Durchführung und Abbau, einkaufen gehen, Flyer verteilen, gucken, wo was ist, sich mit Coronaverordnungen vertraut machen… ab Januar wird wohl auch das Bürgergeld ein Thema für uns als Haus und in den Beratungen werden. Dann werde ich in der Winterschließzeit nichts anderes machen, als mich da einlesen.

Also: es gibt eigentlich keinen klassischen Alltag. Aber für mich ist das was Gutes.

„Was würdest du sagen, gefällt dir inhaltlich am meisten an deiner Stelle als SGBII-Beraterin im sowieso?“

Fachlich gesehen ist das Schönste an meinem Job, dass ich tatsächlich ein buntes Potpourri an Klientinnen* habe. Da ist wirklich keine wie die andere. Ich habe alles von „Ich bin in der falschen Ausbildung“ bis zu „Ich bin Ende 50, ich will noch keine EU-Rente und ich glaube in mir steckt noch was drin, ich will noch was Neues machen.“ Das finde ich einfach großartig und auch sehr motivierend.

„Gibt es denn etwas, was du an deinem Job als SGBII-Beraterin nicht magst?“

Das Einzige, was ich an meinem Job nicht mag, ist die Bezahlung (lacht). Nein, wirklich, ich finde wir verdienen mehr. Punkt. Wir sind ein elementarer Bestandteil der Gesellschaft. Ohne uns geht vieles flöten. Und wenn ich mir da zum Beispiel unsere Kolleginnen* in der psychologischen Beratung angucke, die haben alle mindestens ein E13 Stufe 5 – Gehalt verdient. Das gibt aber das Jobcenter nicht her, das geben die Kassen der Stadt nicht her. Und das ist so das Einzige, was mich nervt, was mich stresst, was mir wirklich auf den Zeiger geht. Gleichzeitig weiß ich natürlich, dass nicht nur an uns gespart wird, sondern auch bei vielen anderen Stellen in der öffentlichen Verwaltung.

„Was ist deine persönliche Utopie für das *sowieso*?“

Dass es uns nicht mehr braucht (lacht). Das ist die absolute Utopie… Dass es keine dezidierten Anlaufstellen für Frauen* mehr braucht, sondern dass wir eine Gesellschaft haben, in der Frauen* gleichwertig bezahlt und behandelt werden, insgesamt einfach gleichgestellt unterwegs sind. Dass es keinen sexuellen Missbrauch mehr gibt, kein Mobbing, keine Essstörungen und psychologischen Krankheiten mehr… das ist die ultimative Utopie.

„Was machst du am liebsten, wenn du nicht im *sowieso* arbeitest?“

Am liebsten ist schwierig. Ich mache es mal in zwei Kategorien. Was ich vor und nach der Arbeit mache, ist Politik. Und was ich gerne mache, ist, mit den Menschen, mit denen ich Politik mache, außerhalb des politischen Kontexts zusammenzusitzen, ein Bierchen zu trinken und über Politik zu diskutieren.

 

Sie brauchen Unterstützung rund um die Themen Arbeitslosigkeit, Berufswechsel, Trennung und SGBII. Dann melden Sie sich gerne hier an.

 

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